Nach einem Urteil des kolumbianischen Verfassungsgerichts, das 2016 den Rio Atrato als eigenes Rechtssubjekt deklarierte, wurde von den ethnisch-territorialen Organisationen, die im Einzugsgebiet leben und den Staat zuvor verklagt hatten, ein Gruppe von lokalen Fluss-Hüter:innen ins Leben gerufen. Ihr Ziel war und ist es den Schutz und die Wiederherstellung des über Jahrzehnte zerstörten Atrato-Flusses in der Praxis sicherzustellen.
Seit 2018 unterstützt das Klimabündnis Vorarlberg diesen Prozess, der eng mit unseren Aktionslinien „Verteidigung des Territoriums“ und „Umweltbildung“ verbunden ist. In den Gründungsjahren wurden die nötigen Aktivitäten zur Stärkung dieser Gruppe rund um die beteiligten ethnischen Führungspersönlichkeiten und Umweltschützer:innen des Atrato-Flussgebiets durchgeführt.
Aus diesem Prozess ging auch eine Initiative hervor, die von den lokalen Jugendlichen selbst vorgeschlagen wurde. Anfangs unterstützten sie dabei die Arbeit der erwachsenen Fluss-Hüter:innen, forderten dann aber einen eigenständigen Prozess, der ihren Erfahrungen und Bedürfnissen besser entsprach.
Die Situation für Kinder und Jugendliche im Einzugsgebiet des Atrato-Flusses ist durchwegs schwierig. Ob Afro-Deszendente, Indigene oder Mestizen, junge Menschen sind meist die ersten Opfer jener bewaffneten Gruppen, die in der Region präsent sind. Sie werden entweder gewaltsam in Guerilla- oder narco-paramilitärische Gruppen rekrutiert oder sind Opfer eines strukturell rassistischen und ausgrenzenden Systems, in dem es keine Garantie für den vollen Zugang zu sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Rechten gibt.
Doch weil das Leben auch unter widrigen Umständen gedeiht, geben uns diese jungen Menschen ein Beispiel für Widerstandsfähigkeit und Hoffnung.
Seit 2020 unterstützt das Klimabündnis Vorarlberg die Entwicklung einer Strategie, die jungen Umweltführungskräften alternative Ausbildungsmöglichkeiten mit einer territorialen, interethnischen und geschlechtsspezifischen Perspektive bietet und zur Stärkung der Initiativen in ihren Heimatgemeinschaften beiträgt.
Im Jahr 2021 begann der Ausbildungsprozess mit einer ersten Gruppe von 15 jungen Menschen (8 Frauen und 7 Männer), die von indigenen (Emberá Dóbida, Eyábida, Katio und Wounan), afro-deszendenten und mestizischen Organisationen entsandt wurden. Dabei wurden sie in ihren Herkunftsdörfern zu Multiplikatoren für das Erlernte und trugen auf diese Weise zur Förderung weiterer Kinder und Jugendlicher bei.
Der Prozess weckte dabei reges Interesse in der Region, so dass bereits 2022 eine zweite interethnische Gruppe mit 18 Jugendlichen gebildet wurde, um parallel zu ihren Vorgänger:innen die entsprechenden Ausbildungsinhalte zu erhalten.
Die transformative Energie der Jugend bewegt uns. Der Fluss verbindet den Alltag seiner Anrainer und verbreitet auch die Geschichten dessen, was die Menschen tun. In den Kanus und Booten spricht man über diese Gruppe junger Menschen, ihre Ausbildungstreffen, ihre Gedichte und Lieder – Alabaos – über den Fluss, die Tänze der indigenen Frauen und jene der afro-deszendenten Jugendlichen.
All dies motivierte weitere Jugendgruppen, sich zusammenzuschließen, und im November 2023 waren wir bei der Gründung des Interethnischen Netzwerks der Jungen Hüter:innen des Atrato-Flusses dabei. Eine Initiative zur Sichtbarmachung von Jugendgruppen, an dem Vertreter:innen von mehr als 15 Organisationen teilnehmen.
Diese jungen Menschen sind sich der Bedeutung des Wissens ihrer Vorfahren für den Schutz ihres kostbaren Flusses bewusst und wollen ihre jeweiligen Gemeinschaftsaktionen aus einer biokulturellen Perspektive heraus stärken.
Biokulturalität ist die Art und Weise, wie die enge Beziehung zwischen den Weltanschauungen der ethnischen Völker und ihrer Beziehung zur Natur definiert wird. Der Atrato-Fluss ist die Heimat von mehr als fünf verschiedenen indigenen Gruppen mit eigenen Sprachen und Kulturen. Dieses Gebiet teilen sie sich mit Afro-Deszendenten und Mestizen, die ebenfalls ihre eigenen, von den Vorfahren geprägten Weltanschauungen haben.
Durch vielfältige Aktionen wie traditionelle afroamerikanische und indigene Tänze, moderne Tänze (Chocó Exótico), Gemeinschaftsarbeit, Umwelterziehung, Öko-Tourismus, Verwaltung von Naturschutzgebieten usw. fördert das Interethnischen Netzwerk gemeinschaftliche Jugend-Prozesse, die sich auf das Leben rund um den Atrato-Fluss auswirken, und für ein besseres Verständnis zwischen indigenen, afro-deszendenten und mestizischen Weltanschauungen sorgen.
Die Konferenz der Vertragsparteien (COP) ist der wichtigste Ort für Diskussionen und Verhandlungen im Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD). Sie findet alle zwei Jahre statt, dieses Jahr vom 21. Oktober bis zum 1. November 2024 in Cali, der drittgrößten Stadt Kolumbiens.
Kolumbien hat diese COP 16 unter den Titel „Frieden mit der Natur“ gestellt. Mit diesem Konzept sollen die Bemühungen der Länder und Basisorganisationen zur Verteidigung und zum Schutz strategischer Gebiete für den Erhalt der biologischen Vielfalt in den Blickpunkt gerückt werden.
Diese Konferenz ist eine sehr willkommene Gelegenheit für das Land und für uns als Bündnispartner. Kolumbien ist eines der Länder mit der größten biologischen Vielfalt auf unserem Planeten. Im Chocó, unserer Partnerregion, gehören mehr als 90% der Einwohner:innen einer ethnischen Gruppe an und rund 25% der Tier- und Pflanzenarten sind endemisch.
Die COP 16 wird als Chance für die Festlegung von Zielen und wirksamen Strategien für biokulturelle Schutzmaßnahmen wahrgenommen.
Da es sich jedoch um einen politischen Raum für Diskussionen und die Festlegung langfristiger Maßnahmen auf globaler Ebene handelt, ist es eine große Herausforderung, auch die Stimmen nicht-politischer Akteure einzubringen. Aus einer Perspektive der Klimagerechtigkeit und der generationenübergreifenden Gerechtigkeit war es für uns in den letzten Monaten ein wichtiger Prozess, die Stimmen junger Menschen mit ihren Erfahrungen und Vorschlägen auf der COP zu Gehör zu bringen.
Gemeinsam mit dem Anwaltskollektiv Siembra und dem technischen Sekretär der Atrato-Fluss-Hüter:innen haben wir uns dafür eingesetzt, dass das Interethnischen Netzwerks der Jungen Hüter:innen des Atrato-Flusses an dieser Konferenz vertreten sein wird. So gelang es vier jungen Delegierten die Teilnahme an verschiedenen Treffen zu ermöglichen.
Veranstaltungen im Vorfeld der COP (16.-19. September und 18.-20. Oktober 2024):
Kenyi Paolo Perez Acevedo (21 Jahre), Usy Caizamo Domico (28 Jahre) und Jhon Stiwar Córdoba Gómez (24 Jahre) nehmen an Veranstaltungen im Vorfeld der Konferenz teil. Diese zielen darauf ab, regionale Treffen zu ermöglichen, damit die Jugend Kolumbiens und des Globalen Südens ein gemeinsames Manifest erstellen, und den politischen Vertretern auf der COP 16 vorlegen kann.
COP-Veranstaltungen (zwischen 21. Oktober und 1. November 2024):
Kenyi Paolo Perez Acevedo (21 Jahre) und Jesus Antonio Pinilla Berrio (24 Jahre) werden zusammen mit den beiden General-Sekretärinnen der Atrato-Fluss-Hüter:innen, Maryury Mosquera und Luz Enith Perea, an den Veranstaltungen im Rahmen der COP 16 teilnehmen.
Dort werden sie in den Bereichen, die als Blaue Zone (Verhandlungen) und Grüne Zone (Zivilgesellschaft) definiert sind, Diskussionen über biokulturelle Systeme führen.
Ich gehöre dem jungen indigenen Frauenkollektiv Nepono Werara an, was auf Spanisch „Blüte der Frauen“ bedeutet. In der Arbeit, die ich in verschiedenen indigenen Gemeinden im Chocó entwickle, machen wir Pädagogik, die auf den Tänzen, der Kultur und den Traditionen unserer Völker und dem kulturellen Erbe basiert. Unser Ziel ist es, indigene Jugendliche bei der Erstellung von Lebensplänen zu unterstützen, die auf eine kulturelle und ökologische Führungsrolle in ihren Gemeinden ausgerichtet sind.
Als Emberá Dóbida, was so viel wie „Volk des Flusses“ bedeutet, haben wir ein Erbe zu schützen. Wir wissen, dass die Praktiken unserer indigenen Gemeinschaften mit dem Territorium verbunden sind. Indem wir unsere Identität, unseren Glauben und unsere Spiritualität pflegen, schützen und respektieren wir unsere Mutter Erde und alle spirituellen Lebewesen, die uns umgeben.
Wir müssen das Territorium als etwas sehen, das sehr mächtig in unserem Leben ist, aber auch anfällig für die Aktivitäten der Menschen. Die Teilnahme an der COP oder Pre-COP ist für mich eine Gelegenheit zu lernen und neue Ideen für die Umsetzung in unserem Territorium mitzubringen. Und ich möchte mich über die Fortschritte informieren, die die teilnehmenden Länder beim Schutz der biologischen Vielfalt auf der Welt gemacht haben.
Ich möchte erzählen, wie sich die ethnische Bevölkerung und wir jungen Menschen für die Pflege und den Aufbau eines bewussteren Landes einsetzen. Meine Botschaft ist, dass der Wald, die Flüsse und die biologische Vielfalt Hüter:innen brauchen, und diese sind wir. Wir sind diejenigen, die sich seit Jahrhunderten als ethnische Völker, die entlang des Flusses und im Regenwald leben, darum kümmern. In unserer Kosmovision und im Gesetz des Ursprungs sind wir eins mit der Natur. Unser Lebensgesetz, unser Auftrag, ist die Pflege des Lebens und wir wollen, dass unsere Spiritualität als ethnische Völker respektiert wird. Denn das garantiert letztlich den Schutz des Lebens auf diesem Planeten.
Ich lebe in der Gemeinde Carmen de Atrato, wo der Atrato-Fluss entspringt. Ich entwickle Umweltbildungsprozesse für Menschen aller Altersgruppen in der Gemeinde. Meine Aktionen zielen darauf ab, den biokulturellen Reichtum der Region zu schützen, zu erhalten und zu pflegen. Ich mache das mit geführten Touren durch das Gebiet und fördere dabei die Bürgerwissenschaft. Auf den Ausflügen bestimmen wir Arten, vor allem Vögel, die wir während den Wanderungen sehen, und wir alle lernen etwas über die Natur.
Es ist eine Gelegenheit, einen biokulturellen Ansatz zu verfolgen und zu verstehen, dass wir Teil des Naturschutzes sind und daran mitwirken. Wir fordern, dass junge Menschen mehr Präsenz in diesen Entscheidungsräumen zeigen. Klimagerechtigkeit sollte die Krisen nicht nur aus der Umweltperspektive angehen, sondern auch aus der Perspektive der Menschenrechte, der Gleichberechtigung und der sozialen Gerechtigkeit. Wir müssen den am stärksten gefährdeten Gemeinschaften mehr Gehör verschaffen.
Ich habe mich darauf konzentriert, das Bewusstsein für ökologische Nachhaltigkeit zu schärfen. Das hat dazu geführt, dass wir die Bedeutung unserer natürlichen Ressourcen erkannt und eine positive oder ausgewogene Beziehung zur Natur aufgebaut haben. Ich motiviere die Jugendlichen zur Teilnahme an Umweltbewusstseins-Tagen und zur Reinigung von Flüssen und Bächen im Stadtgebiet von Quibdó. Außerdem fördere ich die Teilnahme an ökologischen Wiederherstellungs-Tagen in Gebieten, in denen eine Wiederaufforstung notwendig ist.
Ich habe große Erwartungen, weil ich mich mit jungen Menschen aus anderen Teilen der Welt (Kolumbien, Lateinamerika, Karibik…) austauschen kann. Es ist wichtig, andere Erfahrungen in der Umweltarbeit kennenzulernen und sich auszutauschen, denn das hilft uns, unsere Prozesse weiterzuentwickeln und unsere Führungsrolle in der Region zu stärken. Außerdem erwarte ich, dass unsere Stimmen gehört und bei der Entwicklung und Konsolidierung von Maßnahmen zur Erhaltung der Biodiversität und Biokultur berücksichtigt werden.
Als Kulturexperte (Künstler) entwickle und fördere ich traditionelle Praktiken zur Erhaltung der afro-deszendenten Kultur und zur Umwelterziehung in Bezug auf den Atrato-Fluss. Ich bin seit dem Jahr 2021 am Prozess der jungen Hüter:innen beteiligt. Das Jugendnetzwerk stellt die Grundlagen und Werkzeuge bereit, um die Gemeinschaftsarbeit in den Territorien weiter auszubauen und zu verbessern. Und wir stehen immer wieder vor der Herausforderung, Räume für Jugendliche zu öffnen.
Ich erwarte zu lernen, zu wissen und etwas beizutragen. Als junge Menschen wollen wir den politischen Entscheidungsträgern auf der ganzen Welt sagen, dass sie verantwortlich handeln und die Umweltverschmutzung bekämpfen sollen. Klimagerechtigkeit bezieht sich auf die Idee, dass die Auswirkungen des Klimawandels die schwächsten und benachteiligten Gemeinschaften am stärksten treffen. Für uns bringt das direkte Auswirkungen auf unsere Lebensweise mit sich.